Ohne Taube und Kamel

Die vier Evangelien des Neuen Testaments aus der aramäischen Peschitta übersetzt und mit Anmerkungen versehen

27,00 

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Das Christentum kann als „Dreistromland“ charakterisiert werden, das sich aus dem Hauptstrom des lateinischen Westens, dem des griechischen Ostens und dem des oft vergessenen syro-aramäischen Orients zusammensetzt. Nur wenige Kenner wissen um diese syro-aramäische Tradition mit ihren Besonderheiten. Als ihr herausragendes Merkmal ist die theologische Poesie hervorzuheben. Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass die Peschittā, diese „einfache“ und „leicht verständliche“ aramäische Bibel aus den ersten Jahrhunderten des Christentums, durchdrungen ist von der Schönheit der Dichtung, von Metaphern und Analogien, Idiomen und Redensarten, Parabeln und Parallelismen. Weniger der Reim als der Rhythmus ist sprachlich von Belang.

Bei der Lektüre der Evangelienübersetzung aus dem Aramäischen wird Jesus als Dichter voller poetischer Kraft erfahrbar, wenn er in seiner Muttersprache von Gottes Rat und dessen nahender Verwirklichung erzählt.

Die in dieser Form bislang einmalige Evangelienübersetzung füllt eine seit langem klaffende Leerstelle biblischer Literatur – und das für Theologen und Gläubige sowie andere Interessierte gleichermaßen.

Für aramäischsprachige Christen ermöglicht diese Übersetzung, die eigene Identität zu stärken, indem der einzigartige Wert der syrischen Evangelien auch in deutscher Sprache bewusst wird. In der Öffentlichkeit, vor allem der Ökumene christlicher Kirchen, wird dieser Beitrag (aus?) der syrischen Tradition in ihrer poetischen Schönheit deutlich hervortreten und  Wertschätzung erfahren.

„Ohne Taube und Kamel“ – Dieser ungewöhnliche Titel für eine Evangelienübersetzung bezieht sich auf zwei Stellen aus dem Neuen Testament und ihrer Neuübersetzung aus dem Aramäischen:

  • Mt 19,24 ist vielen bekannt wegen der anschaulichen Übersetzung aus dem Griechischen: „Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ein Reicher ins Reich Gottes kommt.“ Aus dem Aramäischen ergibt sich eine andere Übertragung:

          Leichter geht ein Seil
          durch ein Nadelöhr,
          als dass ein Reicher
          dem Rat Gottes folgt.

 Aramäisch ist eine Sprache mit relativ wenigen Wörtern, die wiederum oft verschiedene Bedeutungen haben. Das Wort für „Seil“ und „Kamel“ ist identisch. Im Kontext mit dem Nadelöhr, ergibt „Seil“ mehr Sinn. Der im Aramäischen nicht versierte Übersetzer kannte wahrscheinlich nur die gängige Bedeutung „Kamel“, als er dieses Jesuswort ins Griechische übertrug.

  • Nach Mt 3,16–17 heißt es in der griechischen Vorlage: „Und als Jesus getauft war, stieg er alsbald herauf aus dem Wasser. Und siehe, da tat sich ihm der Himmel auf, und er sah den Geist Gottes wie eine Taube herabfahren und über sich kommen. Und siehe, eine Stimme vom Himmel herab sprach: Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe.“

Die auf dem Aramäischen beruhende Übertragung lautet:

          „Als Jesus getauft war, stieg er sogleich aus dem Wasser herauf. Und da öffneten sich die Himmel und er sah den Geist
Gottes
geradewegs auf sich herabkommen.
Und eine Stimme von Gott sprach: Dieser ist mein geliebter Sohn, an dem ich meine Freude habe.“ 

Solange nur eine Konsonantenschrift ohne Vokale verwendet wird, sind beide Übersetzungen möglich. Das zeigt ein kleines Experiment: Schreiben wir im Deutschen einen Satz ohne Vokale, sind verschiedene Lesarten identifizierbar. Die Konsonantenfolge „Dr Kng ht gsgt.“ kann gelesen werden: „Der König hat gesagt“, genauso gut aber auch: „Der König hat gesiegt.“ Beides ist korrekt. Erst durch die Vokale wird der gemeinte Sinn eindeutiger. Fehlen diese, ist der Textzusammenhang für die richtige Übersetzung maßgebend. Ähnlich verhält es sich bei der Konsonantenschrift im Aramäischen. Der Blick auf eine anfänglich nicht vokalisierte Textversion kann zu interessanten unterschiedlichen Deutungsmöglichkeiten führen. Erst der Kontext lässt das Gemeinte erkennen.

Über diese beiden Beispiele hinaus fördert die vorliegende Übersetzung aus dem Aramäischen ein besseres Verständnis zahlreicher Schriftstellen, etwa durch die Erschließung von aramäischen Idiomen und zeitgeschichtlichen Umständen.

Was der Leserin und dem Leser wohl ganz besonders ins Auge fallen dürfte, ist die Tatsache, wie häufig Jesus nach der aramäischen Peschitta die Gottesanrede „ʾAbbā“ verwendet: in den Evangelien fast 200 mal – während im griechischen Neuen Testament dieses Wort an einer Hand abzuzählen ist.

So entsteht beim Lesen zwar keine völlig neue Jesusgestalt, doch der „aramäische Jesus“ ist durchgängig von großer Innigkeit in seinem Gottesverhältnis und von besonderer Zuwendung allen Menschen gegenüber gekennzeichnet: Ein Zugang zu den Fundamenten des christlichen Glaubens, der schon allein deswegen zu inspirieren vermag.

„Ohne Taube und Kamel“ – von Georg Bubolz

 

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